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„Es wird nicht alles flacher“
Foto: Marco Stepniak

„Es wird nicht alles flacher“

Lesedauer: ca. 2 Min. | Text: Jakob Surkemper

Infos immer und überall, immer mehr und immer schneller. Doch es gibt auch Gegenbeispiele: Slow Media und entschleunigter Journalismus. Ein Gespräch mit Dr. Harald Gapski, Forschungsleiter am Grimme-Institut in Marl.

Herr Dr. Gapski, gerade der Puls der Medien scheint immer schneller zu schlagen. Würden Sie das bestätigen?


Durchaus, wir leben in beschleunigten Zeiten und in Zeiten des Mehr: mehr Medien, mehr Formate, mehr Endgeräte. Auch die Verbreitungsgeschwindigkeiten von Medien erhöhen sich. Das Radio brauchte noch 38 Jahre, um 50 Millionen Nutzer zu erreichen, das Fernsehen 13, das Web vier Jahre und ChatGPT nur zwölf Stunden. Wir haben es mit Beschleunigung, aber auch Diversifizierung zu tun.

Das eine ist das Angebot, das andere der Umgang.


Die klassischen Massenmedien unterscheiden sich grundlegend von den interaktiven Medien insofern, als diese immer zugleich auch Daten über das Nutzungsverhalten sammeln und durch Algorithmen entsprechend personalisierte Inhalte ausspielen. Dahinter liegt eine andere Aufmerksamkeitsökonomie als bei redaktionellen Entscheidungen, die zum Teil auch von einem gemeinwohlorientierten Auftrag beeinflusst sind. Beide Systeme interagieren natürlich, wenn klassische Medien in den sozialen Medien unterwegs sind. Die Beschleunigung entsteht durch die Öffnung der Verbreitungswege, dadurch dass jeder zu jeder Zeit Inhalte empfangen und auch senden kann. Hinzu kommen virale Effekte, dass eine Nachricht über Follower, Multiplikatoren und neuerdings auch Bots verbreitet wird.

Was macht das mit uns und der Gesellschaft?


Auf der einen Seite ist so ein breites Spektrum neuer Medienmöglichkeiten entstanden. Podcasts sind ein sehr entschleunigtes neues Format, das früher gar kein Publikum gefunden hätte, etwa das zeitlich nicht begrenzte „Alles gesagt“ von Zeit Online. Es wird nicht immer alles nur flacher. Auf der anderen Seite führen die Interaktionsmöglichkeiten und Algorithmen der Plattformen dazu, dass sich Informationen schnell verbreiten, die besonders viel Aufmerksamkeit erzeugen, besonders emotionalisieren, provozieren und polarisieren, um die Nutzer länger bei der Stange zu halten.

Wie können wir dem etwas entgegensetzen?


Schon 2010 gab es analog zur Slow-Food-Bewegung ein Slow-Media- Manifest, das mehr Qualität und Reflexion proklamierte. Wir zeichnen seit 2001 mit dem „Grimme Online Award“ qualitativ hochwertige publizistische Online-Angebote aus, die zur intensiven Auseinandersetzung einladen. Auf Nutzerseite wäre eine mitlaufende Selbstreflexion bis hin zum Digital Detox und Medienachtsamkeit wünschenswert. Ist jede Nachricht es wert, sie an meine Freunde weiterzuleiten? Es bedarf digitaler Aufklärung, die die suchterzeugenden Mechanismen und die Geschäftsmodelle der Internetkonzerne kritisch hinterfragt, sowie gesetzliche Regulierungen bei Datenschutz und KI. Stichwort: Deepfakes etc. Der Informatiker, Wissenschafts- und Gesellschaftskritiker Joseph Weizenbaum sagte in den 1990er-Jahren: „Medienkompetenz ist identisch mit der Fähigkeit, kritisch denken zu können.“ Das trifft es auch heute noch sehr schön.

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