Wenn es dämmert, dann blüht das Geschäft mit der käuflichen Liebe. Sexarbeit ist vielfältig. Kevin hat lange im Vest gelebt. Nun bietet er als Callboy „Wellness für Frauen“.
Es ist keine echte Kundin, die Kevin heute für unser Foto-Shooting vor dem Festspielhaus in Recklinghausen trifft. Ungewöhnlich wäre dieser Treffpunkt aber nicht, sagt der 42-Jährige, der auch Kundinnen im Vest hat: „Ich gehe mit den Damen oft zu Kulturveranstaltungen, spiele den neuen Freund auf einer Hochzeit oder fahre mit in den Urlaub.“ Es gehe auch um Zärtlichkeiten und/oder Sex, doch die meisten Frauen wollten sich vorher gut und geistreich unterhalten. „Wellness für Frauen“ lautet sein Angebot kurz und knapp.
300 bis 500 Euro nimmt Kevin für zwei Stunden. Entsprechend gut situiert sind seine Kundinnen. In etwa zwei von zehn Fällen buchen ihn auch Paare, die etwas Abwechslung in ihr Liebesleben bringen wollen. Etwa 60 Prozent seien jedoch liierte Frauen zwischen 35 und 60 – oft ohne, manchmal aber auch mit Wissen des Partners. Männer denken nur an sich „Viele Frauen wollen sich nicht trennen, sind aber sexuell frustriert. Mit ihrem Partner haben sie entweder keinen Sex mehr, oder er ist nicht erfüllend. Männer denken dabei oft nur an sich und die Frauen trauen sich nicht, mit ihrem Partner über ihre Wünsche zu sprechen“, erklärt sich Kevin die Nachfrage nach einem Callboy. Zudem sei die Sache mit ihm klarer als mit einer Affäre, bei der sich vielleicht einer verliebt und es kompliziert wird. Auch der Partner könne damit besser leben. Einige würden ihren Frauen sogar eine Nacht mit ihm zu bestimmten Anlässen schenken.
Wie wird man Callboy? „Die Idee hatte ich schon mit 21 Jahren. Ich habe das damals aber schnell wieder verworfen“, erinnert sich der Wahl-Dortmunder, der vorher in Dorsten, Haltern und Marl gelebt hat. Stattdessen machte er zunächst eine Ausbildung zum Gas-Wasserinstallateur, arbeitete im Verkauf von zwei Zoofachhandlungen und ließ sich später zum Glühtechniker umschulen. Privat war er mit seiner langjährigen Partnerin experimentierfreudig. Kevin ging früher auch gerne in Swingerclubs. Nach der Trennung genoss er das Singledasein. Eine Frau, die schon Erfahrung mit einem Callboy hatte, sagte ihm, dass er auch gut als solcher arbeiten könne.
„Bei der Recherche bin ich auf das Callboy-Verzeichnis.com gestoßen und hab mich da beworben.“ Es dauerte eine Weile, bis es richtig anlief. „Manche Frauen überlegen mehrere Monate, bis sie den Schritt wagen“, sagt er. Eine Frau abgelehnt habe er übrigens noch nie. „Einige meiner Kollegen lassen sich vorab Fotos schicken. Das würde ich nicht tun. Jede Frau hat Liebe und Zärtlichkeit verdient.“ Wenn sie ihm persönlich nicht gefalle – und das komme vor – sei es eben einfach ein Job.
Und wenn die Kundin am Ende glücklich sei und sich bedanke, dann ziehe er daraus ebenfalls eine tiefe Befriedigung. Für ihn sei Callboy ein Traumjob, auch wenn er weiterhin in seinem Hauptberuf arbeitet, der ihm die nötige Sicherheit auch im Hinblick auf die Rente gibt. Traumjob Sexarbeit? Sexarbeit – ein Job wie jeder andere oder gar Traumberuf? Vielen dürfte diese Vorstellung zuwider sein. Unstrittig ist: Auch wenn Sexarbeit für Frauen stark im Kommen sei, wie Kevin prognostiziert, die überwiegende Mehrheit der Prostituierten ist weiblich. Auf 100 Callboys in Deutschland kommen vielleicht 30.000 Escort-Damen, schätzt er. Ein Traumjob wie für ihn sei es für viele Frauen vermutlich nicht. Viele arbeiten auch im Laufhaus oder auf dem Straßenstrich, bedienen zehn oder mehr Kunden pro Nacht und verdienen vielleicht 30 Euro pro Kunde. Das sei schlimm.
Verbote und Kriminalisierung helfen jedoch nicht weiter, sondern „fördern kriminelle Strukturen“, so die Position des Bundesverbandes für erotische und sexuelle Dienstleistungen e. V. Das glaubt auch Kevin: „Verhindern kann man es eh nicht.“ Er begrüßt vielmehr, dass Frauen zunehmend die gleichen Rechte beanspruchen. „Bei Männern ist es seit Jahren geduldet. Aber Frauen haben die gleichen Bedürfnisse.“ Er appelliert: „Frauen sollen sich das gönnen, was sie wollen und nicht davon abschrecken lassen, dass es vielleicht ein Tabu ist. Macht einfach, was euer Gefühl euch sagt“, spricht er die Damenwelt direkt an.
www.callboy-kevin.com
www.berufsverband-sexarbeit.de
www.madonna-ev.de
www.diakonie-kreis-re.de/beratung/hilfen-fuer-frauen
Beratungsstelle Sexuelle Gesundheit - AIDS/STI
Tel: 02365 - 935-7540
aids-beratung@kreis-re.de
www.kreis-re.de/aids